Platzverweis für Übervorsichtige
Selbstzensur hat im Theater nichts verloren
Gerücht – freilich ein langanhaltendes – war, dass Molière, der nicht allein in seinem >Eingebildeten Kranken<, sondern wiederholt die Ärzteschaft schmähte, des Beistandes der vor den Kopf gestoßenen Mediziner verlustig ging. Therapie und Medikamente seien dem Dichter vorenthalten worden. Längst ist klar, davon kann die Rede nicht sein. Hingegen scheint derzeit Gefahr selbst im Umfeld der Stückeschreibenden virulent. Jedenfalls legt das Jörg Bochnows Beitrag >Zwischen Illusion und Ideologie< in >Theater der Zeit< nahe. Der Dramaturg am Dresdner Staatsschauspiel führt das folgende Erlebnis an: „Vor kurzem sagte mir eine erfahrene und sehr angesehene Kollegin, dass sie keine Komödien mehr inszeniert – irgendjemand fühlt sich dabei immer bloßgestellt, auf ein Klischee reduziert, […].“ Bochnows Überlegungen im Rahmen der vom Blatt initiierten Serie >Was ist los? Dramaturgie der Zeitenwende< erschien bereits im Oktober (TdZ 10/24, S.61-64). Wochen hindurch blieb mir davon die Spucke weg. Jetzt aber kam die Zeit, sich zum Entschluss der von Bochnow zitierten Spielleiterin zu verhalten. Als Basis dient mir des Dramaturgen Feststellung: „Die Vorsicht, bedenklichen Positionen Raum zu geben, führt auch zu Vermeidungsstrategien, zur Eindimensionalität.“ – Ich stimme zu. Macht das angeführte Beispiel Schule, wird es an der Kernkompetenz des Lustspielgenres zerren – an der von Theater überhaupt.
Der Abend trug dazu bei, den mit der Architektur des Hauses verbundenen Ungeist immer von neuem zu bezwingen. Der 1938 in Anwesenheit von Hitler, Goebbels und Himmler als Provokation gen Frankreich eröffnete Bau, der zunächst unter „Gautheater Saarpfalz“ firmierte, gab sich – auch wenn die Stadt Saarbrücken devot mehr als die Hälfte der Baukosten übernahm – als Geschenk und Dank des Despoten an die regionale Bevölkerung für die Saarabstimmung drei Jahre zuvor aus, mit der das unter Völkerbundmandat verwaltete Gebiet sich dem Deutschen Reich anschloss. Hitlers bevorzugter Theaterarchitekt Paul Otto Baumgarten versah das als Kulturbunker wider den französischen „Erbfeind“ instrumentalisierte Haus mit rohem Pseudoklassizismus samt plüschiger „Führerloge“. Bei der Sanierung zwischen 1985 und 1989 hat Gottfried Böhm derlei Unerfreulichkeiten zu beseitigen oder mindestens zu mildern gesucht. Der sonst kühn zu Werk gehende Baumeister erlegte sich dabei merkwürdige Zurückhaltung auf. Ganz anders das Deckengemälde von Peter Schubert, der aus dem Informel kommend seine im Kolorit von barocken Deckenmalereien angeregten Farberuptionen über die Kuppel des Zuschauersaals verteilte.
Dass die Übertitel auch auf Französisch mitlaufen, ist eine ebenso praktische Dienstleistung für die Gäste aus dem Nachbarland wie symbolische Geste, die ganz handfest das Gegenteil dessen bekundet, was die braune Bande hier einst trieb. Leibhaftig im Theater sitzen, sich an der Unmittelbarkeit der Bühne erfreuen, des Hauses Geschichte direkt auf sich einwirken zu lassen, bekundeten intensive Freiheitsmomente. Das Glas Wein in der Saarbrücker Altstadt nach der Vorstellung und gegen Vorlage der Testbescheinigung bescherte einen weiteren Augenblick der angenehmen Überraschung. Flugs gesellten sich Unbeschwertheit und Heiterkeit hinzu. Das Zweite Futur ist ein Vergangenheitstempus, aber keine Frage: Das Saarland wird es besser gehabt haben.
Hier geht es zu meiner Besprechung von >Macbeth Underworld< in Saarbrücken.